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Angekommen



Angekommen


Wie eine Blume aus Eis stand sie da. Der Wind hob ihr Haar,
das Seidenkleid; ihren Blick. Die Brandung donnerte rau-
schend. Berauschte auch sie. Winzige Boote und wuchtige
Frachter, kreuzten den endlosen Horizont. Der Himmel riss
auf. Letzte graue Wolkenfetzen segelten dahin.
Sie hatte keine Wünsche mehr. Hier nicht. Alles Vergangene,
das sie wie verschlafene Geister umfing, war urplötzlich ver-
schwunden. Alle ängstigenden Bilder ihres Lebens verblass-
ten. Nur hier, am großen, breiten Ufer, lag alles gestochen
scharf vor ihr - und nichts dahinter: anstürmende Wellen,
schreiende Möwen, der einzige Windsurfer, weit draußen.
Und das Boot, in einiger Entfernung. Es kam näher. Darin
saß ein älterer Mann. Er winkte ihr zu. Sie winkte auch ihm.
Er kam noch näher; hielt direkt auf Ilona zu. Sie wusste nicht,
was sie tun sollte: gehen, oder hierbleiben. Wie die Blume
aus Eis stand sie nur da - unfähig, sich merklich zu rühren.
Der Mann zog sein Boot an Land. Stieg aus. Lächelte zu-
nächst unsicher und umarmte sie dann. Ilona stand noch im-
mer wie angewurzelt am gleichen Fleck; ließ seine Umar-
mung jedoch auch gewollt zu.

Plötzlich, nachdem er ihr lange genug ins Gesicht sah, sagte
er: > Entschuldigen Sie, ich hab Sie wohl mit jemandem ver-
wechselt. Ich dachte, Sie wären...<
> Ja...?, < half sie ihm. > Das ist auch mir schon öfter passiert.
Ein geliebter Mensch, den wir irgendwo in anderen zu sehen
glauben. <
> Verzeihen Sie, < wiederholte er verlegen und will sich ab-
wenden. Sie lächelt nachsichtig; zupft am Ärmel seines Hemds.
> Wenn ich noch länger hier stehe, wird mir bestimmt Ähnli-
ches, wie Ihnen erscheinen...Ist es die Möglichkeit, daß wir an
manchen Orten schlichtweg alle und alles vergessen? Merkwür-
dig, was das Gefühl von völligem Freisein, hier draußen, mit
uns anstellt. <
Er nickt zustimmend, zieht das kleine Paddelboot in tieferes
Wasser - will ablegen; winkt; deutet an, sie könne mit einstei-
gen.
Das tat sie, ohne länger darüber nachzudenken. Rührte sich end-
lich von der Stelle weg, wo sie seit...Wie lange eigentlich schon
stand?
Dann fuhren sie hinaus, mittenhinein in Himmel und Horizont,
die tiefblau angestrichen waren.

Am Ufer zurück blieb ein Maler, der die Szenerie die ganze Zeit
über auf Leinwand bannte. Er wird ihr einziger Zeuge sein. Wird
sich daran erinnern, daß niemand zurück, an Land, kam. Daß ge-
gen Abend die Ruder des Bootes an Land gespült wurden. Und
daß der Wind von irgendwo ihr Lachen zu ihm wehte.
Sein gemaltes Werk wird er ´´Ankommen´´ nennen. Es wird nie
öffentlich zu sehen sein. Irgendwann später schrieb er dazu:

Es gibt Begebenheiten und Fügungen zwischen Himmel und
Erde, die allein zwei Menschen vorbehalten bleiben sollten.
Kein Bild kann je den Zauber einfangen, der einst jenem wun-
dersamen Begegnen innewohnte. Der geheime Zauber gehört
den Beiden, die in stürmische See hinausfuhren. Und in Stille
irgendwo, dort draußen, ankamen.

 


Erzählung & Foto: (c) Ralph Bruse

https://dichterstube.jimdofree.com/

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Auch der tiefste und dunkelste Wald
führt irgendwann zur Lichtung.

© Ralph Bruse


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9 KOMMENTARE



15. Juni 2023 @ 10:32

danke für Dein Marienkäfer-Like, Heike.

Es grüßt Dich, Ralph


11. Juni 2023 @ 09:30

Guten Morgen, Ralph.
Deine Geschichte ist eine typische Bruse- Erzählung. Küstensehnsucht vom Feinsten. Gibt es im Himmel auch sowas wie eine Küste? Denke ich grade so für den Tag X )))))
Sonntagsgrüße aus Franken
von Ingrid


11. Juni 2023 @ 10:11

ja, gibt es, Ingrid: die Küste des Lebens, den Strand, wo sich alles zum Guten wendet und neu angespült wird -
vielleicht)))
Na ja, träumen hilft uns und die Seele kann auch weit wandern, wenn sie muß.
Danke.

Auch zu Dir kommen Grüße in den Tag
von Ralph


11. Juni 2023 @ 08:53

Man fängst an zu lesen, staunt über über Wortwahl, ist gefesselt und kann nicht mehr aufhören zu lesen. Wie ich erwähnte, bleibe ich nur dran, wenn es sich lohnt den Text zu lesen. Es hat sich gelohnt. Gruß, Gudrun


11. Juni 2023 @ 10:22

War nicht so leicht, der kurzen Erzählung trotz mancher Schwere auch Hoffnung und Zuversicht einzuhauchen,
Gudrun.
Scheint gelungen.
Danke für deine schöne Bewertung.

Es grüßt Dich Ralph


11. Juni 2023 @ 06:51

... dem Leser bleibt viel Interpretations- Raum, deshalb gefällt mir der Text ; auch wegen den Wort-Blüten :
-" Blume aus Eis "
- " einen geliebten Menschen, den wir im anderen ...."
- Super die Rolle des Malers !
Ich spinne nicht Raph - diese mystischen Fügungen gibt es ,kognitiv nicht erfaßbar.
Wo die Zwei deiner Erzählung sind , ohne Paddeln ? Viell. schaukeln sie auf einem Regenbogen.
Weiterhin viel Freude beim Fabulieren. Lb.Gr. Grete


11. Juni 2023 @ 10:19

Der Maler kam mir erst beim Schreiben selbst in den Sinn, Grete. Als neutraler Beobachter, vielleicht, weil ich
das nicht in Ich-Form weitererzählen wollte, wie öfter mal. Manchmal braucht es dann auch etwas persönlichen
Abstand, um selbst nicht zu sehr in Melancholie zu versinken.

Danke für dein Mitgehen und das Weiterdenken, was sein könnte.

Grüße schickt Ralph


10. Juni 2023 @ 20:10

Lieber Ralph, zwei Menschen, deren Seele sich ungewollt zusammenfanden mit einem gemeinsamen Ziel. LG in Dein Wochenende, Helga


10. Juni 2023 @ 21:17

Vielleicht ein kleines, tröstliches Märchen, das mir selbst beim Schreiben gut tat, Helga...
Danke.
Auch Dir ein gutes Wochenende.
Grüße von Ralph



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