Frauen an der Klagemauer
Ich liebe ihn, hingebungsvoll,bedingungslos,aber ...er ist ein Schnarcher. Da liegt er nun wie eine Zeitbombe neben mir. Bald wie jeden Abend , wird auf`s neue meine Liebe gewürgt, gelähmt, erstickt, getötet. Kaum nehme ich meinen Rilke zur Hand, beginnt das rasselnde,rauhe, knarrende Geräusch. Disharmonische, ziehende, würgende Staccato-Töne, Tondauer, Tonhöhe und Tempo varieren, in Rondoform wiederholt sich das Schnarcherthema. Ich betrachte Kay, ist das der Mann meiner Träume ? Geräuschpause - ich genieße die Ruhe, werde aber brüsk vom Schnarcher erinnert, daß die Stille nur ein Kräftesammeln war für neue Varianten. Ein kleiner Seitenstoß meinerseits bringt zwei Minuten akustische Stille. Das pfeifende Rasseln hört auf, es beginnt ein Andante-Röcheln. Lesen kann ich nicht, aber denken . Denken an all die Nobelpreisträger unter denen kein Erfinder eines schnarchdämpfenden Instrumentes war. Denken an all die Psychologen und Verhaltensforscher die sich keine Gedanken machen über die angestaute, explosive nächtliche Wut neben einem Schnarcher. Denken an die Germanisten ,die auch nur wissen, daß "schnarchen " ein intransitives Verb ist und sich ableitet von "schnarren " - Warnruf eines Vogels. Die vielen Historiker und Doktoranten, keiner von ihnen analysierte die Flucht mancher Höhlenfrau schon in der Urzeit, von der Sippe. Plötzlich stockt mir der Atem, horche auf, kein Laut, kein Atmen, nur das Ticken der Uhr durchschneidet wie Scherenschwingen die Stille im Schlafzimmer. "Kay", "Kay" , schreie ich hysterisch, rüttle und schüttle ihn, "Kay du atmest doch nicht, schnarch doch , was ist los ?" Zwei Augen, verloren in der Zeit, blicken mich liebevoll an : "Schade, Ninuschka, hatte gerade so schön von dir geträumt ." Ich schlafe erschöpft neben meiner sttionierten Zeitbombe ein. Im Traum flüstert mir der liebe Hermann Hesse zu : " Daß jede Liebe ihre Tragik hat, ist doch kein Grund nicht mehr zu lieben ."