Kann das weg?
Einer zuviel am Essenstisch...Wieder mal, denkt er angeödet,
während er sich von den Knödeln nimmt und voller Unlust
den Sauerbraten zwischen den Zähnen zermalmt.
Das Federvieh muß weg!. Ein – für allemal!, denkt er schon
weiter. Nur: wie?
Hanna lächelt. Lächelt seitwärts den komischen Vogel an -
nicht Hagen, der genau gegenüber am Tisch sitzt: also auch
direkt in ihrem Blickfeld. Soweit war es schon gekommen...
> Bist ein Schatz. Mein Schatzi!, < haucht Hanna mit vorge-
streckter Kuss-Schnute. Meint aber ebenfalls den Graupapa-
gei, der auf ihrer Schulter sitzt und sich seelenruhig mit Knö-
delbrocken füttern lässt.
> Schatziiiii!, < krächzt der Vogel, nachdem er prompt mit-
ten auf dem Tisch landete, um von da besser an das dampfen-
de Essen zu gelangen.
> Meiiiin Schatziiii!, < kreischt der Vogel und tappt näher
zur Tischkante, direkt neben Hannas Teller, wo er dreist von
ihrer Mahlzeit pickt, was ihm gerade vor den krummen
Schnabel kommt.
> Nimm nur, mein Kleiner, < schmatzt, spricht und lächelt
Hanna gleichzeitig, während ihr vor lauter Freude etwas von
der Soße am Kinn herabläuft.
Hagen zerkaut das recht zähe Fleisch und kommt langsam in
innere Aufruhr. Am Ende der Mahlzeit – jeder Mahlzeit – wird
wieder ein finsteres, rasendes Meer in ihm toben. Die reinste
Sturzsee wird ihn durchrütteln, und er muß sich jedes Mal
mächtig zusammenreißen, das vorlaute Federvieh nicht sofort,
Kopf voran, in den heißen Kloßtopf zu stecken.
Glücklicherweise holt ihn dann Ernüchterung ein. Leicht ist
das sicher nicht - für ihn - für Hanna noch weniger, wüsste sie
von seinen geheimsten Gedanken, denn sie liebt ihren Vogel ab-
göttisch – und der sie. Der wacht sogar nachts am Kopfende ih-
rer Schlafstatt, weicht keinen Meter, um über ihren Schlaf zu
wachen. Für Hagen bleibt da nicht viel an Zeit, Zuwendung, ge-
schweige denn: Liebe übrig. Mal ein flüchtiger Kuss vor der
Nacht in getrennten Betten – und nach den Mahlzeiten ihre
immergleiche Frage: > Kann das weg? <
Ohne seine Antwort, oder wenigstens ein Nicken abzuwarten,
schnappt sie nach Töpfen und Geschirr. Den Papagei wieder auf
ihrer Schulter, geht es nach nebenan, in die Küche.
> Ja, mein Goldschatz, jetzt machen wir beide die Küche blitze-
rein, < vernimmt Hagen es ein Dezibel gedämpfter und ist drauf
und dran, den beiden Schwerstverliebten ein paar passende
Wutproben nachzuwerfen.
> Küche reiiiin. Schatziiii!, < plappert der Vogel nach. Sprachtalent
hat das Federvieh, muß Hagen sich eingestehen - rot vor Zorn wird
er dennoch. Er rappelt sich auf, geht erstmal im kleinen Vorgarten
eine schmauchen - so richtig tief auf Lunge, daß es schmerzt in der
Brustgegend und das Schwindelgefühl allen Groll zum Teufel
schickt.
Viel hilft das nicht, also schnappt er nach der Axt im Geräte-Schup-
pen und schlägt Baumstümpfe zu Kleinholz. Der halbe Garten ist
schon von Feuerholz belagert. Überall türmt es sich an die zwei,
drei Meter hoch. Bald wird der nervende Papagei unter einem der
Haufen liegen...schwört er sich. Bald...Dann fliegt er mit in den O-
fen und keiner merkt irgendwas...Er wird den Eindringling einen
Kopf kürzer machen, wird vorher dem hässlichen Vogelkopf mit
der weißen Gesichtspartie sein verächtlichstes Grinsen entgegen-
schleudern, wird ihm außerdem erst noch die rötlichen Schwanz-
federn einzeln ausrupfen - und dann - hallelujah - kann der krei-
schen, wie er will: keiner hört es - auch nicht das kurze Zischen
der Guilliotine - genauer: wenn das Hackebeil dumpf in den be-
reitstehenden Holzbock kracht.
Ende. Ruhe ist dann. Himmlische Ruhe.
Schweißgebadet steht er nun da; hackt unermüdlich Holz. Ein
irrer Rausch beflügelt ihn. Sein helles Lachen: ebenso irre. Und:
befreit! Er hat alles schon bildhaft im Kopf: den unerbittlichen
Henker Namens Hagen...Er, der willensstarke Vollstrecker in
gerechter Mission.
Bleibt nur die eine Frage: wie den Vogel um die Ecke bringen,
ohne daß Hanna Verdacht schöpft und ihm die Schuld in die Schu-
he schiebt?
> Das kann dann mal weg!, < lacht er immer noch berauscht und
und mit sich selbst redend. Da gibt es nämlich auch eine prima
einleuchtende Lösung für das kleinste Problem. Hanna lässt sich
oft und gern die Haare striegeln, schneiden, färben und föhnen.
Alle zwei Wochen, immer Mittwochs, ist sie bei ihrem Lieblings-
Friseur, einem schwulen Freund, aber das tut nichts weiter zur
Sache. Genug Zeit jedenfalls, um den anhänglichen Vogel auf
Nimmerwiedersehn verschwinden zu lassen. Der ist abgehauen,
ist einfach rausgeflogen und nicht mehr zurückgekommen, wird
er Hanna vorsagen, bis sie es, sicher herzzerreißend weinend
glaubt, weil Hagen gewiss nicht müde wird, es nochmal und noch-
mal zu wiederholen. Er wird auf alle seine Vorfahren schwören,
die vollste Wahrheit zu sagen. Halb so schlimm: seine Vorfahren
sind hinüber und können ja schlecht das Gegenteil behaupten.
Ein guter Plan, findet er abschließend und lacht so laut und schal-
lend, daß sogar Hanna kurzzeitig im Garten auftaucht; fragt, ob
ihm zu wohl ist?, ihn mahnt > psssst, < daß der Papagei gerade
Mittags-Schläfchen hält, und kopfschüttelnd wieder ins Haus zu-
rückgeht.
Hanna schleicht zum Käfig, da brüllt ihr der Papagei entgegen:
"Eine harte Nuss, eine harte Nuss, eine....". "Ja, ja, ich hol ja schon
was für dich, mein Schatz". Sie greift in den Korb am Fenster und
holt zwei Walnüsse, die Chico so gern frißt. Vorsichtig öffnet sie
den Käfig, damit er sich nicht so eingesperrt fühlt, der Ärmste.
Seit sein Freund tot ist, fühlt er sich einsam und wird immer an-
hänglicher. Sie sollte doch mal nach einem zweiten Vogel Aus-
schau halten. Andererseits ist es auch tröstlich, zu wissen, dass
Chico sie mag. Na ja, er braucht sie jedenfalls. Hagen interessiert
sich schon lange nicht mehr für sie.
Gerade hereingekommen, schmatzt er missmutig am Essen, das
sie mit viel Aufwand gekocht hat und ihm, wie immer am bunt
gedeckten Tisch serviert. Er sitzt einfach da - auf die Ellbogen ge-
stützt - stiert in den Teller und manchmal fällt sein verachtender
Blick auf ihren Liebling. Kein Wunder, dass Chico ihn nicht mag.
Mitten in ihre Gedanken schrillt das Telefon. Seufzend nimmt sie
den Hörer ab:" Ja, Mittwoch geht klar. Kann ich mitbringen - ja.
Eisenhut? Weiß nicht.... Jonny, denk bitte dran; diesmal etwas
kürzer. Ja, eine harte Nuss - kann man wohl sagen. Bis denn;
Bussi!"
Der Papagei blickt sie forschend von der Seite an und überlegt,
was das mit dem Eisenhut soll. Sie hat doch noch nie einen Helm
aufgesetzt, wenn sie mittwochs zum Friseur ging. Will er ihr ´ne
neue Frisur verpassen? Bloß nicht! Ihre schönen Locken. Er legt
so gern seinen Kopf in ihre Haarpracht. Eisenhut - der ist ja auch
viel zu schwer für sie. Da muss ich mit. Dieser Jonny schleimt sich
immer bei ihr ein. Ob der wirklich schwul ist? Ich mag ihn nicht.
Eitel ist der und überhaupt... will der mir vielleicht noch meine
Nüsse wegnehmen? Eine harte Nuss.....sowas!
Zornig fliegt er im Zimmer auf und ab, kackt aufgeregt umherflie-
gend in Hagen´s Schoß; der schnellt hoch und wirft ihm das Ge-
schirrtuch, das er statt der Serviette um den Hals gebunden hat,
entgegen. "Scheiß Papagei!" flucht er und rennt wieder hinaus in
den Garten.
Mittwoch
"Komm, mein Schatzilein, wir fahren jetzt zu Jonny." Sorgfältig
verfrachtet sie den Vogelkäfig mit Chico ins Auto, malt sich die
Lippen nach, prüft ihr Makeup im Spiegel und los gehts!
Der Papagei sitzt missmutig in seinem Gefängnis und wundert
sich, dass sie keinen Helm trägt. Ob sie den vergessen hat? Eisen-
hut....harte Nuss...das kann ja was werden!
In der Schillerstrasse Nr. 7 gibt es keinen Friseursalon. Hanna
stolziert auf Highheels zum Eingang - ohne Chico - und schellt.
Tür auf - Tür zu. Die Zeit vergeht.
Oben zieht jemand die Jalousien zu. " Harte Nuss!..." schreit Chico.
Nichts. Keine Nüsse - niemand da. Wütend sitzt er im Auto, schielt
immer wieder zum Fenster - irgendwann schläft er ein.
Zwei Stunden später klappern die Jalousien in Nummer 7 und Han-
na schreitet leichtfüßig aus dem Haus. Im Arm trägt sie eine Pflan-
ze. Sie sieht schön aus. Und die Pflanze erst: blaue Glocken. Royal-
blau....
(c) Ingrid Bezold & Ralph Bruse
Zeichnung: open cliparts