Der Autounfall, den eine junge Frau durch Nichtbeachtung der Vorfahrt verursachte, sah zuerst ganz harmlos aus. Eine nicht sehr große Delle in der Motorhaube, ein zerbrochener Scheinwerfer, einen Knick in der Stoßstange und eine dicke Beule am Kopf der jungen Frau, schien alles zu sein.
Etwas benommen lächelte die junge Frau und meinte: „Na, ja, ist ja nochmal einigermaßen gutgegangen!"
Es waren vorerst die letzten Worte, denn Sekunden später sank sie ohnmächtig zusammen.
Das Bewusstsein erlangte sie erst zwei Stunden später
in einem Krankenhaus wieder.
„Schwere Gehirnerschütterung und Prellungen am Kopf" hieß das Ergebnis der Untersuchung. Drei Wochen absolute Bettruhe wurden verordnet. Danach wurde die junge Frau als "kerngesund" entlassen.
Mochten die Ärzte auch "kerngesund" gesagt haben, der Ehemann konnte es nicht so recht glauben. Seine Frau wurde von Tag zu Tag seltsamer, sie zeigte Eigenschaften, die vor dem Unfall nie dagewesen waren. „Vielleicht ist es nur eine Einbildung von mir" sagte sich der Ehemann, "doch vorsichtshalber werde ich einen Psychiater zu Rate ziehen."
Mit List und Tücke vermochte er es, seine Frau in die Praxis zu bringen; doch der Psychiater bestätigte die Diagnose der Krankenhausärzte: „Sie sind kerngesund, gnädige Frau."
Freudestrahlend verabschiedete sich die junge Frau; bevor sie jedoch den Raum verließ, wandte sie sich noch einmal um: „Ach, Herr Doktor, ehe ich es vergesse - ich soll Sie auch schön grüßen."
„Danke, von wem denn?" erkundigte sich der Psychiater ein wenig erstaunt.
„Von meiner Mutter, Herr Doktor, von meiner Mutter. Sie schloss ihren letzten Brief an mich mit den Worten: „Gruß an alle."
© Horst Rehmann