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Licht



 

Licht
 
 
Möwen schwirren ins Abendlicht.
Dieselgeruch mischt sich mit dem von Fischen und nassem Holz.
Nebelwolken ziehen vom Meer heran.
Hinter der Anhöhe, die ins Dorf führt, fallen Fensterläden zu. Boo-
te verschwinden im Dunkel, auch die Möwen. Der Himmel - eben
noch tiefblau, wird schwarz. Gespenstisch liegt der Hafen da.
Mit dem Nebel kommt auch Kälte. Im Dorf ist die Sicht besser,
aber nicht viel. Stubenlampen werfen matte Lichtfetzen auf die
Straße.
Folke mag es, im Vorbeigehen helle Zimmer anzusehen. Er kennt
hier jeden - Mütter und Kinder, die jetzt, im Herbst Drachen bauen,
in Schulhefte kritzeln, enger zusammenrücken, und Väter, die ein
Nickerchen halten oder in Zeitungen blättern.
Morgen werden sie die Papiervögel fliegen lassen. Morgen. Viel-
leicht auch übermorgen - das weiß der Wind.
Am liebsten würde er an jedes Fenster klopfen, Freunde grüßen, 
Schwätzchen halten und gemächlich weiterziehen. Doch es ist 
schon spät und er will niemanden erschrecken.
 
Dahinten wohnt Folke, im drittletzten Haus vor der Nacht. Das Kü-
chenlicht brennt noch. Er hat vergessen, es auszumachen. Na ja, er
ist alt - da darf man schon mal was vertüteln. Die Augen sind auch
nicht mehr die Besten, doch hier findet er jedes Ziel notfalls auch
blind.
Am Haus von Ina Schmeling stoppt er. Sie sieht fern. Eigentlich 
hört  sie fern, weil es mit ihrer nachlassenden Sehkraft auch nicht 
mehr zum Besten steht. Er ist oft - war oft - bei Ina. Fast wären sie
ein Paar geworden. Dann verloren sie sich wieder, weil Folke lange
Zeit krank im Bett lag und kein Mitleid - erstrecht keine Besuche
wünschte. Alter Sturkopf, der.
 
In diesem Moment blickt Ina müde zum Fenster raus. Sie sieht ihn
nicht - er weiß es. Dennoch winkt er, wie zum Abschied.
 
Das Küchenlicht. Er sollte es ausmachen. Ordnung muß sein.
Langsam stapft er zum Haus. Davor raschelt der Apfelbaum, des-
sen  Früchte im Gras liegen, weil sie in diesem Herbst niemand aß.
Nur  diesen Herbst...Bald ziehen seine Enkelkinder in das stumm
gewordene Haus und die werden schon Leben in die Bude bringen -
werden sich ratzfatz über die Pfannkuchen ihrer Mutter herma-
chen –  mit Appelmus natürlich.
Ihm ist nicht bange um den Baum, den er einst pflanzte. Ist nicht 
bange um das Haus, und darum, was mal sein wird. Alles geht wei-
ter - auch ohne den ollen Folke.
 
Vier Steinstufen. Dann die Haustür. Sie ist zu. Er geht hindurch.
Ist ganz leicht, durch verschlossene Türen zu gehn...
Der Flur. Die helle Küche. Auf dem Tisch liegt die aufgeschlage-
ne Zeitung von gestern. Und ein Taschentuch seiner Ältesten.
> Weine ruhig, Kind. Wirst spüren, daß ich wieder da bin, daß ich
immer für dich  da bin, dich beschütze, < sagt er zu sich selbst,
denn hier ist ja  niemand.
 
In der Zeitung fehlt etwas. Die Todesanzeige. Seine. Sie wurde 
ausgeschnitten.
Tot. Aber er ist hier...Nur die Vergessenen sind wirklich weg, für 
immer, das ist so sicher, wie das Amen seiner Lieben.
 
Sein Lächeln wirkt alles andere, als traurig.
Er ist zurück. Bald wird wieder Leben ins Haus einziehen. Und
Kinderlachen. Vielleicht schon morgen, diese Woche, nächstes 
Jahr. Wer weiß. Zeit ist aufgehoben. Uhren sind bedeutungs-
los.
 
Das Licht.
Er knipst es aus, geht ruhig in völliger Dunkelheit umher.
Draußen heulen Hunde.
Und der Wind.                                                  
 
 
 

Bild & Kurzgeschichte: (c) Ralph Bruse

https://dichterstube.jimdo.com

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Auch der tiefste und dunkelste Wald
führt irgendwann zur Lichtung.

© Ralph Bruse

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10 KOMMENTARE



28. Oktober 2018 @ 11:20

Der flexible Dichter heißt eins meiner (ironischen) Reimer, Gudrun. Sagt eigentlich schon alles...Klar, ich schaue schon, was den oder diejenige als Antwort eher langweilen, oder aufmuntern könnte. Soll aber nicht heißen, daß ich den Schleimer mache. Ich hasse nichts mehr als >Nettigkeiten<, die nur so dahin gesagt sind, oder aus purer Berechnung aufs Papier oder in den Wind schießen. Ehrlich soll es sein, ohne jede Hintertür. Und wenn auch Du dich etwas über mein Geschreibsel amüsieren kannst: prima. Ohne Spaß ist das Leben doch ein Scheißleben.

Danke auch Dir für s Herkommen!
Grüße in Deinen Sonntag schickt
Ralph


28. Oktober 2018 @ 06:37

Hallo Ralph, die vielen Kommentare über deine Kurzgeschichte haben mich neugierig gemacht, - Geschichten lese ich eher selten. Eigentlich sollte ich das Licht ausknipsen und wieder ins warme Bett steigen, aber nicht ohne dir zu sagen, dass du gut mit Worten umgehen kannst. Am meisten amüsieren mich deine Kommentare. Da passt du dich immer dem Schreiber an. Bei Heike antwortest du lustig frech, mit Ingrid flirtest du immer ein wenig....sehr unterhaltsam und witzig. Guts Nächtle, bin weiterhin gespannt.


27. Oktober 2018 @ 17:21

Den fürsorglichen Paps hatte ich zum Glück, Ingrid. Der hatte auch seine Launen und
Macken, war aber da, wenn die Hütte lichterloh brannte.
(bin bei aller Freude, daß ich Dich so >packen< konnte mit der Storie, schon auch
ziemlich verlegen. Soll auch heißen: dein/euer Lob kassier ich nicht mal eben so ein,
sondern bin dann auch tief dankbar)

Genieße Dein Wochenende.
Grüße schickt Ralph


27. Oktober 2018 @ 17:11

Das mit dem See-Hintergrund ist son kleiner Fimmel, Hanni.
Na ja, vielleicht auch einfach nur Prägung. Ist ja meine Heimat.
Dickes Danke für das noch dickere Lob von Dir!

Auch Dir n gutes Wochende. Grüße schickt Ralph


27. Oktober 2018 @ 17:08

mache immer aus dem Bauch raus, Heike. Klar, Du kennst viele meiner Geschichten. Macht janix. Die Zeit passte einfach: Spätherbst, Nebel, usw. Und wenn Du mit der Kurzstorie an
Deinen Paps denkst, weiß ich, daß Licht nicht nur schnöder Grusel ist, sondern auch
ne menschliche Seite hat.
Danke auch an Dich.
Schönes Wochenende wünscht Dir
Ralph


27. Oktober 2018 @ 14:37

Bei deinen Zeilen hab ich gleich an meinen Papa gedacht. auch wenn ich ihn nicht sehen kann er ist immer in meiner Nähe.
Ich kenne das " Licht" zwar schon länger, lese und höre es aber immer wieder gerne.
Ahoi LG Heike


27. Oktober 2018 @ 12:42

Ralph, es war nicht der Grusel, der mich mitgenommen hat, sondern die Bilder, die sich in meinen Kopf gedrängt haben. Folke hat in mir eine Sehnsucht nach einem fürsorglichen Vater, den ich leider nicht hatte, hervorgerufen. Einen Vater, den man noch nach dem Tod spürt.

Eine wunderschöne Geschichte. LG Ingrid


27. Oktober 2018 @ 12:05

Hallo Ralph, meinen Respekt, da hast Du eine wunderschöne Kurzgeschichte geschrieben, sehr poetisch mit großer dichterischer Kraft. Man liest aus Deinen Worten die Liebe zum Meer und zur Küste heraus, vermutlich ist da Deine Heimat. Ahoi, liebe Grüße Hanni


27. Oktober 2018 @ 11:30

ist nur ne Geschichte, Ingrid. Jetzt bloß keine Lähmungserscheinungen kriegen)))
(mag selbst sanften Grusel. Und: Grenzen sind schließlich zum Überschreiten da...)

Vielen Dank für Deine Zeit.

Grüße schickt Ralph


27. Oktober 2018 @ 08:12

Guten Morgen Ralph,
ich sitze da wie gelähmt. Wollte mir auch die Sprachversion noch anhören, aber das pack ich jetzt nicht, sonst kann ich meine Besorgungen heute nicht mehr erledigen. Später.....



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