Als Gastwirt erlebt man oft kuriose Begebenheiten mit der Kundschaft. Da kommen Gäste ohne einen Cent in der Tasche , geben eine Runde nach der anderen aus und verschwinden alsdann heimlich still und leise durch einen Hinterausgang oder durchs Toilettenfenster; auf Nimmerwiedersehen natürlich. Andere wiederum haben Geld wie Heu und knausern mit jedem Euro. Es kommen Menschen, die alles können, alles wissen, alles haben, jedoch in Wahrheit nur aufschneiden, prahlen und angeben. Mit allen Regeln der Kunst versuchen diese Typen, andere Gäste zu fesseln. Nach spätestens einer halben Stunde wollen sie dann als grosse, bewundernswerte Helden gefeiert werden. Kommt es aber anders, dann ziehen sie den Kopf ein, werden gelb und rot wie eine Verkehrsampel und verlassen schleunigst das Lokal.
An zwei ähnliche Typen erinnere ich mich genau. Es war im Sommer, genauer gesagt im August.
„Diese Hitze ist kaum noch zu ertragen“, stöhnten die Gäste. „Herr Wirt, ein Bier bitte, Herr Wirt, nochmal dasselbe“, so tönte es von allen Seiten.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, herein kamen schwitzend und pustend zwei elegant gekleidete Herren. Sie grüßten kurz die anwesenden Gäste mit einem Kopfnicken, stellten sich dann bei mir laut, so dass es jeder im Raum hörte, als Brauereivertreter vor und nahmen an einem Ecktisch am geöffneten Fenster Platz. Der eine zündete sich eine Zigarre an, der andere rief lauthals: „Herr Wirt, eine Lokalrunde von unserem guten Pils!“
Ich wurde ein wenig nervös bei diesen Worten. Schon am Vortag war mir das Pilsbier dieser Brauerei, von der die Herren kamen, ausgegangen. Von einer anderen Brauerei hatte ich noch genügend Pilsbier. „Was machen?“ ging es mir durch den Kopf. „Soll ich es ihnen sagen, oder soll ich einfach das Bier der anderen Brauerei...?“ Ich musste es versuchen. Klopfenden Herzens schenkte ich ein. Ich servierte. Die beiden Brauereivertreter hoben ihre Gläser, prosteten den Gästen und mir zu und tranken einen kräftigen Schluck.
„Ahhh", meinte der eine mit lautem Ton, als er sein Glas senkte, „als Feinschmecker spürt man doch sofort, von welcher Brauerei dieser edle Tropfen kommt; unser Pils ist das beste der Welt, es gibt einfach kein besseres!" „Ja, ja, welch wahre Worte“, stimmte der andere zu. Bei diesen Worten fiel mir ein Stein vom Herzen. Keiner der beiden hatte etwas bemerkt und keiner der beiden war also solch ein Feinschmecker, wie er es vorher betont hatte. Sie waren, mit einem Wort, nur Aufschneider.
„Noch eine Lokalrunde von unserem guten Pils, Herr Wirt“, hörte ich es vom Ecktisch am Fenster noch ein zweites und drittes Mal rufen. Ich grinste vor mich hin und schenkte gelassen ein.
Nach etwa einer Stunde, es waren zwischenzeitlich fünf Lokalrunden gelaufen, verlangten die Herren ihre Rechnung. „Eine stattliche Summe", meinte der eine, holte seine prall gefüllte Brieftasche hervor, verlangte noch einen Beleg und fügte grossmütig hinzu, „bei einem so guten Bier darf man einfach nicht auf den Cent schauen.“
„Ganz meine Meinung", pflichtete ihm der andere bei, „unser Pils ist ein Qualitätserzeugnis; man könnte, ohne zu zögern, den doppelten Preis dafür zahlen.“
Diese, jetzt über eine Stunde andauernde Prahlerei machte mich innerlich rasend. Ich konnte die Worte, gutes Pils, edles Getränk, Qualitätserzeugnis nicht mehr hören. Ich musste den Herren einen Denkzettel mit auf den Weg geben. Laut, damit es jeder im Lokal hörte, sagte ich: „Meine Herren, bevor Sie Ihren Heimweg antreten, muss ich Ihnen noch eine Kleinigkeit eingestehen. Seit gestern morgen habe ich keinen Tropfen Pilsbier mehr, - jedenfalls nicht von Ihrer Brauerei; Sie haben vom ersten bis zum letzen Glas das Bier Ihrer Konkurrenz getrunken und gepriesen. Als Feinschmecker und Bierkenner sollten Sie sich schnellstens einen neuen Gaumen zulegen. Auf Wiedersehen, meine Herren und angenehme Heimreise.“
Spöttisches Gelächter der Gäste begleitete die mit einem Mal sehr ruhig gewordenen Herren zur Tür hinaus.
© Horst Rehmann