Es war an einem Novembertag. Ich saß in meinem Büro, pausenlos
läutete das Telefon. Alles geschäftliche Anrufe, nur einmal war es
meine Freundin Caroline, sie überredete mich zu einem
abendlichen Kinobesuch.
Als ich den Hörer wieder auf die Gabel legte, blickte ich kurz zum
Fenster hinaus. Es regnete und einen Augenblick dachte ich, dass mir
ein gemütlicher Abend daheim, lieber gewesen wäre.
Aber Caroline lebt seit kurzen wieder alleine und hätte mir eine
Absage sicher übel genommen.
„Was tut man nicht alles für gute Freunde.“
Büroschluss, ich verließ das Bürogebäude. Noch in der Eingangs-
türe stehend, spannte ich meinen Regenschirm auf, schlug meinen
Mantelkragen in die Höhe und ging, fast im Laufschritt
zur Straßenbahnhaltestelle.
„Sauwetter“, dachte ich.
Eine halbe Stunde später war ich schon daheim. Zum Essen
blieb keine Zeit, ich kochte mir schnell eine Tasse Kaffee und gönnte
mir eine kleine Verschnaufpause.
Dann ein kurzer Blick aus dem Küchenfenster. Unaufhaltsam
prasselt der Regen gegen die Fensterscheibe, das Außenthermometer
zeigt 16°. „Kalt war es zum Glück nicht“, dieser Gedanke
erleichterte mir meinen Entschluss, mich für meine Verabredung
fertig zu machen. Kurz vor zwanzig Uhr verließ ich das Haus.
Es waren nicht viele Leute auf der Straße, aber die
wenigen schienen es recht eilig zu haben, sie alle wollten
möglichst schnell und trocken nach Hause kommen.
Ihre Eile war mir auf einmal völlig unverständlich,
denn meine Schritte wurden immer langsamer, meine Atemzüge
immer tiefer. Ich merkte, wie die vom Regen gereinigte Luft mir gut tat,
wie ein Schwamm nahm ich sie in mir auf. Es war mir als
würde ich frische Energie tanken, Wohlbefinden überkam mich.
Fast automatisch klappte ich meinen Regenschirm zu, ich wollte
die kleinen, kühlen Regentropfen auf meiner Haut spüren. Meinen
Kopf legte ich tief in den Nacken und als die ersten Tropfen
über meine Wangen liefen, fühlte ich,
wie sie den Alltagsstress von mir nahmen. Ein kleines
Stück Freiheit erwachte in mir. Ich wollte es gar nicht glauben, doch es war
noch keine zwei Stunden her, dass ich von all dem nichts
ahnte und empfand. Es war nicht einmalzwei Stunden her.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich schon bei der Bushaltestelle
angekommen war.
Die Blicke der wartenden Menschen richteten sich auf mich.
Ich sah sicher wie ein begossener Pudel aus, aber das alleine war
nicht der Grund, die meisten Passanten sahen verständnislos auf den
geschlossenen Schirm in meiner Hand.
Ihre Gedanken konnte ich förmlich lesen. „Spinnerin“ stand in
ihren Gesichtern geschrieben.
Da löste sich ein junger Mann aus der wartenden Gruppe. Er klappte
seinen Schirm zu und stellte sich direkt neben mich. Mit einem
belustigenden Lächeln sah er mich an.
Plötzlich legte er seinen Kopf in den Nacken, atmete
tief durch und ließ sein Gesicht vom Regen berieseln.
Aus dem Lächeln wurde ein lautes Lachen. In diesem
Augenblick war ich mir ganz sicher, er versteht mich, er
empfand genau wie ich, ich konnte gar nicht
anders, ich stimmte in sein lautes Lachen ein.
Es war schön dieses Gefühl von Lebensfreude mit
jemanden teilen zu können.
Der Bus kam, aber wir stiegen nicht ein.