Sonstige Gedichte



Der alte Geschichtenerzähler

Es kam diese aufklarende Februarnacht,
hatte wieder diesen Schrecken mitgebracht.
Sirenen heulten, Menschen hasteten schneller,
wollten nur noch zum Schutz in die Keller.
 
Dröhnendes Grollen war überall zu hören,
Düsen-dröhnen, vermischt mit Donnerchören.
Die Bombeneinschläge wurden immer mehr
und die dreijährige Lene weinte so sehr.
 
Noch verschlafen wimmerte sie in Mutters Arm,
das Kellergewölbe gefüllt, seit dem Alarm.
Sie fanden Platz, zwischen gehäuften Steinen,
aber die Kleine hörte nicht auf zu weinen.
 
Viele murmelten beschwörend ins Dunkel,
zum aufflackernden Kerzen-Gefunkel.
Einschlagsdonner hörten sie über sich ziehen,
da setzte sich ein alter Mann mit Bart zu ihnen.
 
Die weinende Lene hatte ihn aufmerksam gemacht,
so nahm er ihre Hand besänftigend-sacht.
Er summte eine lieblich-klingende Melodie zu ihr
und bastelte eine Puppe, aus ‘ ner Art Stoffpapier.
 
Es wurde eine Schöne mit Flossenschwanz,
eine kleine Meerjungfrau im türkisblauen Glanz.
Magisch schillerte ihr blondes Stofflockenhaar,
samt zart-knitterndem Lächeln, wunderbar.
 
Der Alte tat beruhigende Worte auswählen
und begann eine kleine Geschichte zu erzählen.
Dabei war er noch näher an sie herangerückt
und Lene die Puppe in die Hand gedrückt.
 
Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau,
nur, dass sie jetzt schwimmen würde im Kellerbau.
Sie hieß Lene und das Dunkel wäre ihr Meer,
nach oben könne sie, so schnell, nicht mehr.
 
Erst wenn der wütende Drache davonfliege,
das Meer friedlich-rauschend, über ihr, liege.
Des Alten Erzähl-Gabe, sie gleich verstand,
letzte Tränen rannen aus ihrem Augenrand.
 
Er hatte Lene zur kleinen Meerjungfrau gemacht,
und ihrer Mutter Entspannung gebracht.
Zeigte auf funkelnd-helle Kerzenlichter,
diese wären nun suchende Fischaugengesichter.
 
Sie würden nach der Meerjungfrau schau ‘n,
was sie so treibe, hier im dunklen Meeresraum.
Die kleine Lene fing jetzt an zu lächeln,
wobei der Drache noch laut war am Hecheln.

Da zeigte der Alte mit dem Finger nach oben,
meinte zu Lene, bald wäre Schluss mit toben.
Sie schmiegte sich vertraut-kuschelnd an ihn
und wirklich das Tosen begann abzuziehen.
 
Als seine Geschichte langsam aufs Ende traf,
merkte er, dass sie schlummerten im Schlaf.
Beruhigend legte er seinen Mantel über beide,
wenig später gingen die Angriffe zur Neige.
 
Die Entwarnungen entfachten stets Freude,
überall sah man, vor Glück, weinende Leute.
Nur eine Mutter mit Kind schaute erschrocken,
der Alte tat nicht mehr neben ihnen hocken.
 
Lene konnte es gar nicht fassen,
da war sein Mantel, den hatte er dagelassen.
Sie hob die Puppe, drückte sie doll an sich ran
und sprach: „Wo ist nur der liebe Mann“.
 
Sie liefen umher, ob ihn jemand gesehen,
aber alle verneinten, wollten ihrer Wege gehen.
Lenes Mutter zog sich nun den Mantel an,
weil sie glaubte, dass sie ihn noch finden kann.
 
Doch unzählige Gewölbe schienen verbunden
und so wurde er leider nicht gefunden.
Oben sah man nun den großen Schrecken,
Feuersbrünste schossen um alle Ecken.
 
Rauch und Leichengeruch durchdrang die Luft,
bis zum Himmel stieg’s feuerrot der Höllengruft.
Lenes Mutter hüllte die Kleine in den Mantel ein,
rannten bis zur Elbe, vorbei am Flammenschein.
 
Ihr Haus war zerstört, brannte völlig nieder,
Lene angstvoll: „Kommt der Drache wieder“ ?
Die Mutter umarmte sie : „Aber nein“,
die Kleine: „Ich will für immer eine Meerjungfrau sein“.
 
Den nächsten Tag zogen sie aufs Land,
wo man bei einer Cousine ein neues Zuhause fand.
Bei einem See, für Lene natürlich das Meer,
ihr ersehnter Traum, ihr Meerjungfrauen-Flair.
 
Mit der Puppe spielte sie hier das Märchen nach,
wobei sie dann immer wie der liebe Alte sprach.
Sie vergaß den Mann niemals mehr im Leben,
denn er hatte ihr so viel, in einer Nacht, gegeben.

Seit über dreißig Jahren,
schreibt Lene, nun selber, Gedichte und Geschichten,
mahnend auch über diese Nacht,
was ein Krieg auslöst, tut sie Erlebnis-nah berichten,
wie schmerzvoll er Leid und Tot entfacht.
 
Aber für Kinder schreibt sie,
märchenhafte Zaubergeschichten,
über Meerjungfrauen, immer im wandelbaren Kleid,
die oft von alten bärtigen Königen berichten,
mit reifer Güte und Lieblichkeit.

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