Liebes Tagebuch…
…lange ist es her, dass wir uns gesehen,
geschweige etwas auf deine Seiten geschrieben.
Ganz unverhofft hab‘ ich dich nun entdeckt,
auf dem Speicher zwischen alten Büchern,
in einem verschlissenen Karton.
Habe dir meine geheimsten Geheimisse anvertraut,
meine Träume, meine Gefühle; konnte dir meine
Sorgen erzählen, all meine Gedanken waren bei dir
stets gut aufgehoben. Blind konnte ich dir vertrauen,
meine geheimen Gedanken und Wünsche blieben bei
dir verborgen.
Gedanken, die der Wind über mich hinweggetragen,
Träume, die plötzlich gekommen in einem Moment,
in dem anderen schon wieder verflogen,
es gibt kaum eine Seite, die ich nicht vollgeschrieben.
Schaue dich mit Wehmut an, dein Gesicht ist
nicht mehr so farbenfroh und frisch, verblasst ist
es in den vielen vergangenen Tagen, die Seiten an den
Ecken teils umgeknickt.
Himmel, wo hattest du dich nur versteckt?
Die vielen Jahre sind auch an mir nicht spurlos
vorübervergangen, habe viele Chancen verpasst,
die falschen ergriffen. Gab die Zeit mir auch Zeichen,
hab‘ sie oftmals verkannt, in Sekunden nur,
war die Zeit mir davongeflogen.
Die Zeit, zärtliche Briefe an den Liebsten zu schreiben,
ist nun auch vorbei. Er hatte die allerschönsten,
von mir je gesehenen Augen,
seine Hände sie sprachen Bände, so sinnlich, so zart.
Schrieb Zeilen, die ich ihm niemals zu lesen gab.
Da waren die Zeiten zu trauern, zu hoffen, mit Frohsinn in
die Zukunft zu schauen, die Liebe, sie kam und sie ging,
zu große Erwartung, am Ende waren zwei Liebende
nur noch in Schweigen und Lügen gehüllt.
Ein trauriges Lied so alt wie die Welt.
Habe gelernt; das Leben braucht Mut. Was uns ausmacht,
ist nicht der Schein oder das, was man an Eigentum und
Gütern hat, es ist das, was man mit dem Herzen tut.
Teils war ich wie ein schwankend‘ Schiff,
das auflief auf ein raues Riff, suchte Halt, doch fand ihn nicht.
Liebes Tagebuch, heute schreib‘ ich dir mit zittriger Hand,
das Haar ergraut, fast schon weiß, bin welk einer gefallenen
Rose gleich, brüchig das Band, das mich noch am Leben hält.
Es sind wohl die letzten Zeilen, die ich schreibe, die ich dir hier
anvertraue, der Weg in die neue Welt ist nicht mehr weit.
© Soso