Santorin
Sie winken aus dem Boot zum hohen Bord
und legen an. Das Fallreep senkt sich nieder.
Durch ungestüme Wellen geht es fort,
von oben gleißt die Sonne auf die Lider.
Dort drüben schwarz und schroff die Lava steigt,
zart oben nur bekränzt mit blendend Weiß.
Kein Weg, kein Steg, der uns von ferne zeigt,
daß Leben dort ist, sichtbaren Beweis.
Doch näher kommend ist ein kleiner Pier,
sind Häuser, Gäßchen‚ Toresbogen grau,
dahinter Menschen, Mulis‚ Treiber hier
und dort der Weg hinauf ins Himmelsblau.
Das Muli trottet‚ schwankt uns über Steine.
Sechshundert Stufen glattgetretner Pfad.
Schweißglänzend zerrt der Treiber an der Leine,
bis kreuz- und queren Schritts der Gipfel naht.
Was Zuckerguß erst schien, gewinnt Konturen,
ist eine Stadt mit Mauer, Dach und Schlot.
Der Töpfer formt phantastische Figuren,
und draußen stehen Krüge bunt und rot.
In Kirchenkühle ernst auf den Ikonen
Pankrator Christos A und O bezeugt.
Geheimnisvolle Schau auf die Äonen,
aufs Schicksal, dem sich diese Insel beugt.
Tritt nur hinaus an steile Kraterbrüstung
und blick hinüber auf die Todesbahn.
Geduckt‚ zum Sprung bereit aus seiner Rüstung,
die Insel zu verschlingen: der Vulkan.
Helmut Stephan, 1978
(c) Helmut Stephan