Wie einst kommst du auch heut heraufgezogen
mit grauen Fluten von der Heimat her.
Wir sehn dich heut als Grenze uns´res Hoffens,
und brennend Sehnsucht macht das Herz uns schwer.
Du kommst von Osten, sahest uns´re Wälder,
die Städte, die des Krieges Wut zerstört,
bringst mit die alten Lieder uns´rer Heimat,
die in der Fremde wir nicht mehr gehört.
Einst saßen wir an deinem grünen Ufer,
und Sommer war´s und Friede rings im Land.
Träg flossen deine warmen, grauen Wogen,
und weich umgab uns deines Bettes Sand.
Wir standen auf der breitgespannten Brücke
und blickten in den Abend tief hinein.
Und drüben auf des Domes heil´ger Insel
drang aus den Fenstern schwacher Kerzenschein.
Dort war der Dom, der steil gen Himmel ragte,
am Sonntag voll von Lied und Orgelton.
Und langsam säumte deine Uferwege
Der sonntagsfreud´gen Menschen breiter Strom.
Im Herbst, da trugen deine kalten Wellen
mit sich der gold´nen Blätter farb´ge Pracht.
Still wurde es in Schlesiens Oderwäldern,
und Fröste kündeten die Winternacht.
Ich blicke nach den frostig-klaren Sternen
und weiß, sie strahlen auch im Heimatland.
Wenn auch die Fremden heute grad dort wohnen,
so bindet uns doch ein viel stärk´res Band.
Auch heute seh ich auf dir Blätter treiben,
auf deinen Fluten, breiter Oderfluß,
da uns das Land, wo wir einst glücklich waren,
von nun an weit und weltenfern sein muß.
Und dennoch bleibst du Strom der Heimat,
der Strom der Heimat immerdar,
wenn wir auch heut nur der Erinn´rung leben,
Erinnerung an eine Zeit, die war.
Helmut Stephan, 1945
(c) Helmut Stephan