An das Weihnachtsfest im Jahr 1962 kann ich mich noch sehr genau erinnern. Wir haben an den Adventssonntagen immer alle zusammen in der kleinen Stube gesessen und musiziert. Es wurden Weihnachtlieder eingeübt, denn am ersten Weihnachtstag ging es zu den Großeltern mit den Instrumenten. Dort traf sich immer die ganze Familie mütterlicherseits.
Mein Vater spielte Mundharmonika, er kannte keine Noten, war aber immer "mit Leib und Seele dabei". Mundharmonika spielen hat er sich in der Kriegsgefangenschaft selbst beigebracht, meine ich zu wissen. Mutter spielte Flöte, meine Schwester und der jüngste Bruder Melodica und Flöte, mein ältester Bruder Gitarre und ich spielte, mehr schlecht als recht, Akkordeon.
Auf dem Tisch stand eine Kiste mit selbst gebackene Keksen, meistens Spritzgebäck. Zwischendurch gab es warmen Kakao. In der Stube bullerte der Ölofen, doch sonntags übertönten wir ihn.
Meine Eltern besaßen ein kleines Geschäft im Ort und hatten vor den Feiertagen wenig Zeit für uns vier Rangen.
So war es auch am Tag des Heilig-Abend.
Mutter und Vater waren bis mittags im Geschäft und auch wir mussten unseren aufgetragenen Pflichten nachkommen, was auch meistens reibungslos klappte. Mittendrin die Großmutter, die schon am Vormittag anfing ihre kleine Stube weihnachtlich herzurichten. In Erinnerung geblieben ist mir ihr Baumschmuck, der aus Porzellanengeln und nostalgischen Kugeln bestand. Auch der Christbaumständer war einmalig. Er drehte sich nach den schönsten Weihnachtsklängen, nach dem man ihn am ziselierten Silberständer aufzog. Es gibt ihn noch heute in der Familie.
Nach Geschäftsschluss wurden wir in der Wanne geschrubbt und es wurde die Festtagskleidung aus dem Schrank geholt. Meine Mutter liebte es meine Schwester und mich, sowie auch meine Brüder gleich zu kleiden.
Am Spätnachmittag ging es in die Kirche. Dazu mussten wir nur über die Straße und waren fast bis zum Kircheneingang in Mutters Blickfeld. Ich war schon voller Vorfreude auf die Bescherung am Abend und natürlich auch nervös und aufgeregt. Meine Gedanken kreisten während des Gottesdienstes nur um den Weihnachtsbaum und die Geschenke. Unwillkürlich hatte ich die Bilder vom Vorjahr im Kopf. Der Heilig-Abend spulte sich noch einmal im Schnelldurchgang vor mir ab. Die Kirchenglocken, die zum Schluss des Gottesdienstes läuteten, rüttelten mich aus meinen Träumen und ich sah mich nach meinen Geschwistern um. Sie stürmten zum Ausgang! Vom Kirchhof aus konnten wir schon das Wohnzimmerfenster unseres Elternhauses sehen, von außen war Kerzenschein zu erkennen. Wir stampften uns den Schnee von den Schuhen und betraten erwartungsvoll das Haus.
Gewöhnlich ging es erst einmal in die Küche. In der großen Wohnküche war der Tisch schon eingedeckt und wie in den Jahren zuvor gab es Ragout-Fin und Pasteten. Dieses Gericht wurde nur am Heilig Abend aufgetischt. Es war immer sehr praktisch, Vater konnte es schon mittags während der Arbeitszeit vorbereiten, außerdem schmeckte es uns auch allen ganz prima. Unter dem Tisch zappelten acht Kinderbeine, die es gar nicht erwarten konnten loszurennen. Lag auch wirklich all´ das unter dem Tannenbaum, was mein jüngster Bruder vorhergesagt hatte? Er war in der Adventszeit ständig auf der Pirsch und hat auf den Schränken und in den Schubladen nachgeschaut, um die Weihnachtsgeschenke ausfindig zu machen.
Nun standen wir im Flur vor der verschlossenen Wohnzimmertür Schlange.„Kinder, der Weihnachtsmann war da!“, ertönte die helle Stimme unserer Mutter. Genau darauf haben wir gewartet.
Wow, war dass ein Anblick! Da stand der Baum in seiner ganzen Pracht. Die Kerzen leuchteten und erfüllten unsere Herzen mit einem Glückgefühl. Der Baum war ringsherum mit Süßigkeiten bestückt, die wir an den Weihnachtstagen immer nacheinander abnehmen durften. Eine Weihnachtplatte ertönte, ich meine es war die glockenreine Stimme von Heintje, die uns entgegenschmetterte. Jeder hatte einen Sessel voll mit Geschenken. Alle vier eine komplette Skiausrüstung. Na, da war der Weihnachtsmann aber fleißig!
So langsam legte sich die Aufregung und irgendwann standen wir alle in der Stube auf unseren Brettern und machten Trockenübungen.
Morgen geht es hinaus in den Schnee, gleich nach dem Frühstück, haben wir gemeinsam beschlossen. Mit diesem Gedanken bin ich dann auch spät abends eingeschlafen. Es war wieder ein traumhafter Weihnachtsabend, der mir bis heute in guter Erinnerung geblieben ist.